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Flüchtlingsretter Reinhard Schmitz kritisiert Europäische Staaten
„Ich musste mit ansehen wie 40 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind“

 

 

 

 

 

 

 

Was sich derzeit Mittelmeer abspielt, ist eine humanitäre Katastrophe. Darauf hat Kapitän Reinhard Schmitz aus Trendelburg im Landkreis Kassel hingewiesen. Gemeint ist das tausendfache Schicksal von Flüchtlingen, die in Holzschiffen oder Schlauchbooten die gefährliche Fahrt von Afrika nach Europa wagen. Schmitz, der als Seemann einst selbst ein Schiff besaß, hat sich dem 2015 gegründeten Verein Sea-Watch angeschlossen, um Menschen auf hoher See zu retten. Bei seinen Fahrten auf dem Mittelmeer konnte er mehrere tausend Flüchtlinge aus Seenot retten. Aber er musste auch erleben, wie Menschen vor seinen Augen ertranken.
Eingeladen zu dem Vortrag hatte der kreissynodale Arbeitskreis Brot für die Welt-TIKATO, das seit mehr als 45 Jahren Hilfe zur Selbsthilfe in dem westafrikanischen Land Burkina Faso leistet.. Wie die TIKATO-Vorsitzende Heidi Janina Stiewink erläuterte, ist das Engagement von TIKATO von seither  intensive Arbeit gegen Fluchtursachen. Sie wünsche sich, dass sich die westlichen Regierungen mehr dafür einsetzten, dass die Menschen in ihren Heimatländern eine Zukunft hätten. Mitveranstalter war der  synodale AK Flucht.

Doch Kapitän Schmitz kritisierte den Umgang der Europäer mit dem Flüchtlingsproblemen und dessen Ursachen. 65 Millionen Menschen seien weltweit auf der Flucht. Mehr als 500.000 Tote seien in Syrien zu beklagen, eine Hungerkatastrophe im Jemen. Diese Krise habe sich auch mit Hilfe deutscher Waffenlieferungen an Saudi Arabien zur größten humanitären Katastrophe Jahrzehnte entwickelt.

Die Fluchtursachen seien sehr vielfältig. Hier nannte der Kapitän Kriegsverbrechen und Gräueltaten an der Zivilbevölkerung, an Frauen, Kindern und Männern. Menschen fliehen vor dem Terror von IS und Boko Haram, aber auch vor Hunger und Not, vor Bomben und Giftgasangriffen. Umweltzerstörung, Landraub, Klimawandel und Dürre seien weitere Faktoren. Dazu kommen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Sklaverei. Die Menschen seien auf der Flucht, weil sie Perspektiv- und Hoffungslosigkeit empfinden.

„Die Antwort des reichen Europas auf Menschen in Not aus anderen Kulturkreisen, ist Stachldraht, meterhohe Betonmauern, geschlossene Grenzen und eine todbringende Abschottungspolitik“, so der Seemann. „Die Mauer die der amerikanische Präsident Donald Trump an der mexikanischen Grenze hochziehen lassen will, haben wir schon längst“, kritisierte Schmitz. Diese Mauer sei entstanden durch die Verlegung der EU-Außengrenzen auf den afrikanischen Kontinent und in Form von Milliarden Euro, die an Länder wie Marokko, Libyen, Niger und Sudan gezahlt werden. Hauptziel sei es, Europa die Menschen auf der Flucht vom Hals zu halten oder erst gar nicht fliehen zu lassen.
Die viel versprochenen Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung in afrikanischen Ländern dienten in erster Linie dazu, Grenzen hochzuziehen. Die brutale Grenzsicherung der Marokkaner lasse sich die EU alleine 70 Milliarden Euro kosten.

Alle Maßnahmen Migration zu verhindern missachteten grundlegend die Menschenrechte. Die Genfer Konvention werde mit Füßen getreten. So würden Menschen bei der Rückführung in ihre Heimatländer einfach in der Wüste zum Sterben abgekippt. Dies scheine niemanden zu stören.

Die Rosen, die noch vor wenigen Jahren als Zeichen der Willkommenskultur an Bahnhöfen an Flüchtlinge verteilt wurden, seien Hassparolen gewichen. Rechtsradikales Gedankengut, brennende Flüchtlingsheime und menschenverachtendes Tun und Spiel mit der Angst breiteten sich aus.

Schmitz kritisierte auch den Umgang der EU und vor allem Italien mit den privaten Seenotrettern. Sie würden als Komplizen der Schlepper diffamiert, die Migranten aufs Meer lockten und ins Gefängnis gehörten. Kapitäne von Rettungsschiffen müssten sich vor Gericht verantworten und den Rettern würden ständig neue Knüppel zwischen die Beine geworfen. Rettungsschiffe werden monatelang in Häfen festgehalten, damit sie keine weiteren Menschen aus dem Meer ziehen könnten. Oder es wird ihnen die Einfahrt in einen Hafen verweigert, das Betanken der Schiffe oder das Anlanden der Flüchtlinge.

Er wisse von einem gekenterten Boot mit 400 Menschen. Alle hätten gerettet werden können, wenn man gewollt hätte. Nicht zu helfen verstoße gegen internationales Seerecht, wonach jedes Schiff, das von Menschen in Seenot im Umkreis erfährt, zur Rettung verpflichtet ist.
Untersuchungen der Schiffssicherheit dienten nicht der Sicherheit der Seefahrt sondern verfolgten den Zweck, die Seenotrettung mit allen Mitteln zu erschweren. Dass diese Maßnahmen keine Rechtsgrundlage hätten, scheine keine Rolle zu spielen.

Zu alle dem schweige Europa und schaue einfach weg. Mit einem Budget von 200 Millionen Euro werde die selbsternannte libysche Küstenwache unterstützt, die nachweislich Geschäfte mit Menschenhändlern und Schleuser machten. Sie sollen fliehende Menschen zurückbringen, die in Folterkammern gehalten und auf Sklavenmärkten verkauft werden. Derzeit vegetierten 670.000 Flüchtlinge in Libyen. Fünf von ihnen würden jede Woche erschossen, um Platz für Neuankömmlinge in Gefängnissen zu schaffen.
Abstumpfung, Ignoranz, Verlust von Humanität und Menschlichkeit sei salonfähig geworden und schleichend in den Alltag eingekehrt.

Die Arbeit der Sea-Watch sei die Antwort auf die Einstellung der italienischen Seenotrettung „Maare Nostrum“. Allerdings wird den privaten Rettern der Einsatz schwer gemacht. Früher konnten die Rettungsschiffe ihre aus dem Meer gefischten Flüchtlinge einem vorbeifahrenden Schiff übergeben. Heute ist dies verboten und die Sea-Watch müsse wochenlang fahren, um einen Hafen zu finden, in dem die Flüchtlinge aufgenommen werden.
Von 14 Organisationen, die bislang im Mittelmeer tätig waren, sind durch die politischen und juristischen Hürden heute nur noch vier tätig. Im vergangenen Sommer war die Hilfe über Wochen gar nicht möglich.
Sei anfangs jeder 50. Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zu Tode gekommen, so sei es heute jeder 14. Bei einem der Einsätze konnte Schmitz innerhalb von vier Wochen 6.500 Flüchtlinge vor dem Tod retten. „Das höchste Lob, das wir bekommen können, ist die Freude eines Menschen, den wir aus dem Meer gerettet haben“, so Schmitz. Mahnende Worte hatte er für die EU: Das Mittelmeer sollte zum Mahnmal von Abstumpfung, Ignoranz und Verlust von Humanität und menschlichen Werten erklärt werden.

Zu den etwa 50 Besucherinnen und Besuchern waren mehrere Pfarrer/innen sowie Flüchtlingsbegleiter/innen aus zahlreichen Gemeinden gekommen. Heidi J. Stiewink von TIKATO schenkte als Dank Kapitän Schmitz eine CD mit Wiegenliedern geflüchteter Mütter aus verschiedenen Kriegsländern, die Klara von Verschuer (Laufdorf) in Marokko aufgenommen hatte- anlässlich eines Zivil-Einsatzes dort. Für seine Frau, eine Malerin auch von beeindruckenden Bildern der Flucht im Mittelmeer, ging eine kleine Kunst-Holzarbeit aus Burkina .

Vor der Kreuzkirche hatten sich zehn Anhänger der NPD und der Jugendorganisation „Junge Nationale“ mit dem stellvertretenden NPD-Fraktionsvorsitzenden Thassilo Hantusch der Wetzlarer Stadtverordnetenversammlung auf dem Bürgersteig positioniert. Sie hielten menschenverachtende Plakate in die Höhe. So stand auf einem Plakat „Schlepperkähne auf Kurs Süd drehen“. Die Kirchengemeinde und Heidi Stiewink als Organisatorin machten von ihrem Hausrecht Gebrauch und verhinderten, dass die rechtsextremen Demonstranten die Veranstaltung in der Kreuzkirche stören konnten. Dies wurde durch die Polizei durchgesetzt.
 

 

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Flüchtlinge auf dem Mittelmeer kommen mit Schlauchbooten aus Libyen.


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Kapitän Reinhard Schmitz reicht einem geretteten Menschen die Hand, damit er die Sea-Watch sicher erreicht.


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Kapitän Reinhard Schmitz erzählt in der Kreuzkirche vom humanitären Einsatz im Mittelmeer.


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Kapitän Schmitz im Gespräch im Wilhelm Wilmers von TIKATO


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Heidi Stiewink überreicht eine CD mit Wiegenliedern geflüchteter Mütter aus Kriegsgebieten




Fotos: Rühl/Sea-Watch
Text: Rühl/Stiewink




 

 

 

 

 

 

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